Kurzansprache zur 125-Jahr-Feier der Eingemeindung (1. März 1986)



Der Weddinger Heimatverein führt in seinem Untertitel den Zweitnamen »Verein für Weddinger Geschichte«, und um diese will er sich besonders bemühen. Lange Jahre war versäumt worden, die Geschichte dieses Bezirkes systematisch aufzuarbeiten. Erst in den letzten Jahren haben verschiedene Institutionen und Einzelpersonen verstärkt sich der Geschichte unseres Bezirkes zugewandt.

In der ersten urkundlichen Erwähnung des Wedding vom 22. Mai 1251 finden sich die Worte:

»Die Handlungen der Gegenwart pflegen bisweilen in späteren Zeiten unterzugehen, wenn sie nicht Mit Hilfe der Schrift befestigt werden.«

Dieser Satz scheint für die Weddinger Geschichte besonders prophetisch gewesen zu sein.
Wir haben deshalb - verglichen mit alten Städten - wenige Zeugnisses über die Zeit vor der Eingemeindung, die wir heute feiern.

Geprägt wurde das Bild des Wedding von Vorurteilen, hieran konnte auch der Fleiß der Bewohner wenig ändern.

Die Familienhäuser an der Gartenstraße im heutigen Bezirk Mitte gelegen, prägten das Bild des Wedding ebenso wie die randalierenden Rehberger und der bis in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts benutzte Galgen am Gartenplatz. Hier stand die Abdeckerei und auch die Landschaft war schlichte Heide.

Manche Zeitgenossen sprachen von einem wüsten Gesindel, welches hier wohnte, Theodor Fontane schrieb etwas freundlicher von »jener prosaischen Dürftigkeit, wie sie dem märkischen Sande ursprünglich eigen« war.

Diese Bild prägte auch die Problematik der Eingemeindung. Berlins Stadtväter genossen die Freiheiten, die ihnen die Steinsche Städteordnung gewährte. Ihre Vertreter, kamen aus dem besitzenden Bürgertum und achteten streng darauf, daß die städtischen Abgaben für ihr Klientel nicht zu hoch wurden.

Daher spielten die Grenzen der Stadt Berlin stets auch aus steuerrechtlichen Gründen eine wichtigte Rolle.

Der preußische Kriegsrat Scheffel hatte bereits 1788 festgestellt, daß das »Stadtterritorium (...) nur, in der Gegend des Wedding, bis an den Fluß« reichte. Er meinte die Panke.
Anfangs war es den Berliner Bürgern noch ganz recht, diese Bereiche zum städtischen Weichbild zu zählen. Dies änderte sich jedoch, als größere Lasten auf die Stadt zukommen sollten.

Nunmehr zögerten die Stadtverordneten. Man hatte nichts gegen die Eingemeindung jener Flächen im Süden, Richtung Tempelhof und Schöneberg - denn dort wohnten steuerkräftige Bürger, die mehr in das Stadtsäckel einbrachten, als sie kosteten.

Im Norden jedoch war die Bevölkerung zunächst gering. Insgesamt nahm die Bevölkerungszahl Berlins durch die Eingemeindung nur um 35.000 zu. Davon entfiel der geringste Teil auf den Wedding und den Gesundbrunnen, wie sich aus den Daten für die Kirchengemeinden St. Paul und Nazareth ergibt. Jene Bewohner zwischen der heutigen Müllerstraße und dem Luisenbad, dem heutigen Gesundbrunnen, allerdings waren - sieht man von den zahlreichen Gastronomen an der Badstraße ab, wenig steuerkräftig.

Für die Stadtväter Berlins kam ein weiteres hinzu: Nach einer Entscheidung des Obertribunals von 1826 hätten die Berliner für die Unterhaltung und gegebenenfalls die Anlegung des Straßenpflasters in den eingemeindeten Gebieten aufkommen müssen. Die Polizeibehörde, nach 1809 nicht mehr unter städtischer Obhut, stellte weitere Forderungen. Die von ihr 1851 gegründete Berufsfeuerwehr, die teilweise auch die Straßenreinigung übernahm, mußte vom Magistrat bezahlt werden. Auch insoweit verteuerte sich eine Ausweitung des städtischen Territoriums. Schließlich jedoch spielte die Versorgung der Armen die bedeutendste Rolle. Traditionell war die Armenpflege eine Angelegenheit des Hofes gewesen, der damit seine Mildtätigkeit zeigten konnte.

§179 der Steinschen Städteordnung, der den unverfänglichen Titel trägt, »Zur Geschäftsverwaltung in Deputationen und Kommissionen sind geeignet« , werden der Stadt zahlreiche Pflichten auferlegt:
so die Schulverwaltung, die Feuersozietät, das Sanitätswesen und die Armenpflege. Der Stadt insgesamt - heißt es dort, liegt die »Sorge für Unterhalt, Krankenpflege, Beschäftigung und Erziehung nebst Unterricht ob«.

Nach dieser Regelung von 1808 bedurfte es noch einer königlichen Kabinettsorder vom 3. Mai 1819 bis schließlich der Magistrat am 3. Oktober 1826 eine Armenordnung für die Residenz Berlin erließ.

Die Stadtväter mußten schon erschreckt sein, wenn sie wußten, daß sich die Zahl der Taufen allein in der St. Pauls Gemeinde zwischen 1840 und 1850 mehr als verdoppelte. Die absoluten Zahlen waren gering, aber wenn darunter nur ein kleiner Prozentsatz arm war, so mußte dies teuer werden, legte die Armenordnung doch z.B. fest: »Armen Kindern sei der nötige freie Schulunterricht sofort zu verschaffen, wenn die Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können.« (§9).

Diese Aussichten deuchten den Stadtvätern nicht sehr einladend und so setzten sie ihren Widerstand der Eingemeindung entgegen.

Die preußische Regierung und der Berliner Polizeipräsident der längst auch für die Umgebung zuständig war, dachten fortschrittlicher. Mit der Städteverordnung von 1853 wurde die Möglichkeit geschaffen, auch gegen den Willen der Stadt Eingemeindungen vorzunehmen. Auch die Weddinger Bürger hatten sich 1854 an die Regierung gewandt und gebeten, endlich eingemeinde werden. Die Stadtverordnetenversammlung verhielt sich weiterhin ablehne obwohl Stadtrat Julius Pohle errechnet hatte, daß den Ausgaben von etwa 14.000 Talern bereits Einnahmen von 16.000 gegenüberstehen.

Aber die Angst vor Ausgaben, war durch keine Zahlen zu beseitigen, wie der spätere Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber schrieb.

1857 riß der Regierung in Potsdam der Geduldsfaden. Sie kündigte die zwangsweise Durchführung der Eingemeindung an. Nunmehr stimmte die Stadtverordnetenversammlung zu. Mit einer Ausnahme, den Wedding wollte man immer noch nicht. Der Zug war jedoch abgefahren.

Am 28. Januar 1860 erging eine Kabinettsorder, die auch die Eingemendung des Wedding und des Luisenbades beschloß. Am 1. Januar 1861 trat diese Regelung in Kraft.
Der heutige Bezirk Wedding, dessen Mühle 1251 für 21 Mark Silber an das Spandauer Frauenkloster verkauft wurde, gehörte nunmehr endgültig – auch verwaltungsrechtlich zu Berlin.

Der Wedding ist im heutigen Westteil der Stadt einer der ältesten Teile alten Berlin, dies auch bei der kommenden 750 Jahrfeier herauszustellen, sollte unser aller Aufgabe sein. Z.B. durch schnellste Entscheidung zur Erhaltung der Restbebauung des Luisenbades.

Bernd Schimmler